Politiker bei Twitter – gefangen in der Filterbubble?

Politik findet heutzutage nicht mehr nur im Plenarsaal statt, sondern auch in sozialen Netzwerken wie Twitter. Mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages (MdB) sind bei Twitter aktiv: Hier folgt man den Politik-Kollegen, propagiert die eigenen Standpunkte und kritisiert die der politischen Konkurrenz. Um einen Überblick über das Netzwerk zu behalten, hat die forschungsbasierte Beratungsagentur pollytix strategic research gmbh mit dem MdB-Twitter-Netzwerk ein interaktives Tool entwickelt. Es zeigt auf, wer wem folgt – und wer wem nicht und dass auch die Bundestagabgeordneten Gefahr laufen, in ihrer eigenen Filterbubble gefangen zu bleiben.

In Deutschland stellt Twitter das wichtigste Medium für politische Entscheidungsträger dar: Hier werden Stellungnahmen abgegeben sowie politische Vorstöße kommuniziert und diskutiert. Twitter ist sozusagen der Bundestag unter den sozialen Netzwerken, wobei Beziehungen und Interaktionen zwischen den MdBs durch Followerschaften, Retweets und Kommentare für die Öffentlichkeit bestens sichtbar sind. Gerade Twitter-Follower-Beziehungen sagen viel über soziale Stellung und politische Bedeutung aus: Wen betrachten Politiker in ihren eigen Reihen als so relevant, dass sie auch bei Twitter keine Äußerung verpassen wollen? Wessen 140-Zeichen-Ergüsse laufen ins Leere?

Die forschungsbasierte Beratungsagentur pollytix strategic research gmbh hat mit dem MdB-Twitter-Netzwerk ein interaktives Tool entwickelt, mit dem sich das Netzwerk der Bundestagsabgeordneten auf vielfältige Weise analysieren und interpretieren lässt: Wie sind die MdBs untereinander vernetzt? Folgen sich nur Fraktionskollegen oder haben Politiker auch Follower mit anderem Parteibuch und können somit auch die (Twitter-)Agenda der politischen Konkurrenz beeinflussen? Wer von den Parlamentariern hat die meisten Follower – sowohl unter den MdBs als auch in der gesamten Twitter-Gemeinde?

Mehr als die Hälfte der Abgeordneten twittern

Insgesamt sind rund 60% der derzeit 630 MdBs bei Twitter vertreten. Vor allem die Grünen stechen als digitale Partei hervor: circa neun von zehn Grünen-Abgeordneten sind bei Twitter aktiv; bei den Linken und der SPD ist es immerhin noch jeweils etwa 70%. Das digitale Schlusslicht bildet die CDU/CSU-Fraktion: Von den 309 Abgeordneten besitzen etwas weniger als die Hälfte der Fraktionsmitglieder einen Twitter-Account. Unter allen Twitter-Accounts finden sich auch einige Karteileichen, die entweder noch nie getwittert haben oder die in dem einzigen bestehenden Tweet auf Facebook als Ort der Kommunikation verweisen. Das Besitzen eines Twitter-Accounts bedeutet also nicht zwingend, dass die Abgeordneten digitale Kommunikation und die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen wissen.

Linke-Abgeordnete werden von ihren MdB-Kollegen weitgehend ignoriert

Das MdB-Twitter-Netzwerk gibt Aufschlüsse darüber, wer von den Parlamentariern die meisten Follower bei Twitter besitzt – sowohl innerhalb des Bundestages als auch in der gesamten Twitter-Gemeinde. Dabei wird die Anzahl der Follower durch verschieden große Kreise dargestellt: Je größer der Kreis, desto mehr Follower hat der oder die einzelne Abgeordnete. Unter den Platzhirschen im politischen Twitter-Revier sind wenige Überraschungen: Sigmar Gabriel, Thomas Oppermann, Peter Altmaier, Peter Tauber und Volker Beck werden von sehr vielen Abgeordneten gefolgt. Auch die CSU-Politikerin Dorothee Bär kann sich über viele Follower unter den Parlamentariern freuen. Die Linken hingegen scheinen auch im MdB-Twitter-Netzwerk in der Opposition: Hier sticht kein Politiker durch eine besonders hohe Followerzahl hervor. Linken-Politiker werden von den anderen MdBs folglich eher stiefmütterlich behandelt.

Account-Magneten im gesamten Twitter-Netzwerk bei jeder Partei erkennbar

Das Bild ändert sich jedoch, wenn man die Followerzahl nicht allein auf das Netzwerk der Abgeordneten bezieht, sondern auf alle Twitter-Nutzer. Hier kristallisieren sich bei allen Parteien Account-Magneten heraus, deren Anziehungskraft in der gesamten Twitter-Gemeinde besonders hoch ist. So ist wenigstens bei Twitter die Übermacht von CDU/CSU und SPD gegenüber den kleinen Parteien ausgehebelt.

Die Filterbubble macht auch nicht vor Politikern halt

Auffällig ist, dass sich die Abgeordneten der einzelnen Fraktionen auch bei Twitter zu konzentrierten Gruppierungen zusammenfinden. Während die Verbindungen innerhalb der Parteien besonders stark ausgeprägt sind, lässt sich ein Brückenschlag über Parteigrenzen deutlich seltener finden. D.h. Abgeordnete folgen bei Twitter eher ihren Parteikollegen als der politischen Konkurrenz. So wie die Abgeordneten Twitter nutzen, verstehen sie darin scheinbar eher ein Instrument zur Unterstützung und Verbreitung der Parteimeinung als eine Plattform zum politischen Diskurs – auch mit der politischen Konkurrenz. Die viel beschriebene Filterbubble scheint somit auch nicht vor den Abgeordneten des Bundestages halt zu machen.

MdBs in der digitalen Filterbubble

 

Neben den Fraktionsgrenzen deckt das Netzwerk-Tool auch ideologische Differenzen auf. Während die CDU/CSU mit SPD und Grünen relativ stark vernetzt ist, ist die Verbindungsdichte zwischen Christdemokraten und Linken wesentlich schwächer. Dies zeigt sich an dem vergleichsweise größeren Abstand zwischen den beiden Clustern und der geringeren Anzahl an Verbindungslinien zwischen Parlamentariern von CDU/CSU und Linken. 

Stefan Liebich (Die Linke) mit zentraler Position im Twitter-Netzwerk

Doch wie so oft bleibt keine Regel ohne Ausnahme: Beispielsweise sind die beiden sehr aktiven Twitter-User Stefan Liebich von den Linken sowie CSU-Politikerin Dorothee Bär nicht nur mit ihren Parteikollegen, sondern auch weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus vernetzt. Hier gelingt der oben erwähnte Brückenschlag über politische Lager hinweg und macht solche MdBs zu Vermittlern und Multiplikatoren im politischen Twitter-Netzwerk, erkennbar an der zentralen Lage im Netzwerk.

Folgen-Follower-Verhältnis klafft teilweise stark auseinander

Das Netzwerk-Tool ermöglicht eine Analyse in drei Kategorien: Wer folgt wem, wer wird von wem gefolgt und wo beruht die Followerschaft auf Gegenseitig. Wie sehr Followerschaft von politischen Ämtern abhängt, lässt sich beispielhaft am Follower-Verhalten von SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann zeigen. Als SPD-Fraktionsvorsitzender ist Oppermann bei Twitter ein gefragter Politiker: Fast die komplette SPD-Fraktion folgt ihm, aber auch große Teile der anderen Fraktionen, darunter u.a. führende Politiker wie Jürgen Trittin, Peter Tauber und Gesine Lötzsch.

Von vielen MdBs gefolgt: SPD-Fraktionsvorsitzender Oppermann

Oppermann selbst scheinen die 140-Zeichen-Botschaften seiner Kollegen hingegen weniger zu interessieren. Er folgt gerade einmal 31 MdBs, wobei es sich hierbei in erster Linie um Abgeordnete in hohen politischen Ämtern handelt: Sigmar Gabriel, Peter Altmaier, Katrin Göhring-Eckhardt und Sahra Wagenknecht (als einzige Linken-Politikerin).