Die Wahlbeteiligung in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Trauriger Höhepunkt dieses Negativtrends: die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2022. Hier gaben lediglich 55,5% der Bürger*innen ihre Stimme ab. Wie konnte das passieren? Findet hier eine Abwendung von Politik und Demokratie statt? Und: Was kann politische Bildung dagegen tun? Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nordrhein-Westfalen haben wir uns mit diesen Fragen beschäftigt.
Das Herzstück der Demokratie krankt
Wahlen gelten als das Herzstück der Demokratie. Sie ermöglichen die politische Partizipation der Bürger*innen, indem sie die politischen Machtverhältnisse bestimmen und den Wählerwillen ausdrücken. Die Demokratie lebt daher von der Mitbestimmung und Repräsentation möglichst aller Bevölkerungsgruppen. In den letzten Jahren lässt sich jedoch ein Rückgang der Wahlbeteiligung in Deutschland, insbesondere auf Kommunal- und Landesebene beobachten. Mit nur rund 56 Prozent Wahlbeteiligung fiel auch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2022 besonders niedrig aus. Wo liegen die Ursachen hierfür? Warum ging fast die Hälfte der Bürger*innen nicht zur Wahl? Welche Beweggründe standen hinter der Nichtwahl – findet hier eine Abwendung von Politik oder gar der Demokratie statt? Und vor allem: Was kann politische Bildung tun, um die Wahlbeteiligung wieder anzuheben? Diese Fragen beschäftigen auch das Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nordrhein-Westfalen. Zur Beantwortung der Fragen, haben wir im Januar 2023 sechs Fokusgruppen mit Nichtwähler*innen in unterschiedlichen Regionen des Landes durchgeführt und diese anschließend ausgewertet. Unter Nichtwähler*innen fielen hierbei solche Personen, die bei der Landtagswahl 2022 nicht gewählt hatten, die jedoch prinzipiell noch für Wahlen zu erreichen sind.
Politikverdrossenheit steigt, vor allem weil Zweifel an der Problemlösungskompetenz der Politik bestehen
Die gute Nachricht zuerst: Bisher findet keine grundsätzliche Abkehr von Demokratie und Wahlen statt. Allerdings lassen sich zahlreiche Tendenzen einer Abkehr von Politik bzw. eine Zunahme von Politikverdrossenheit beobachten: Das Verhältnis von Bürger*innen zu Politiker*innen ist von großer Distanz, Misstrauen und Unzufriedenheit geprägt. Der Glaube, dass Politik Probleme angehen oder lösen kann bzw. sich überhaupt für die Bürger*innen interessiert, ist verloren gegangen.
Die hohe Zahl der Nichtwähler*innen lässt sich aus einer Gemengelage verschiedener Faktoren erklären: So wirken sich die Elemente der Politikverdrossenheit und die Überzeugung, dass Wahlen nichts ändern, negativ auf die Wahlbeteiligung aus (Vertrauensdefizit und politischer Stillstand und fehlende externe Selbstwirksamkeit). Häufig fehlt das Gefühl, ausreichend informiert zu sein, um eine fundierte Wahlentscheidung treffen zu können (Informationsdefizit). Erschwerend kam bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hinzu, dass durch die wahrgenommene Ähnlichkeit der Kandidaten der Eindruck entstand, nur zwischen zwei gleichen Optionen – und damit nicht wirklich – „wählen“ zu können (Alternativ- und Hoffnungslosigkeit).
Was kann die politische Bildungsarbeit daraus lernen?
Diese Erkenntnisse sind auch für die politische Bildungsarbeit relevant: Zunächst sollte die generelle Bedeutung von Wahlen hervorgehoben werden, denn es macht einen Unterschied, wie die politische Macht verteilt ist. Politische Bildung muss Bürger*innen durch aufsuchende und niedrigschwellige Information dazu befähigen, sich politische (Wahl-)Entscheidungen zuzutrauen und umzusetzen. Zudem kann durch politische Bildungsarbeit die Demokratie für die Bürger*innen erfahrbarer, partizipativer und responsiver gestaltet werden, etwa durch Formate wie politische Diskussionsveranstaltungen oder Q&A-Abende mit Politiker*innen. Denn das Stärken der politischen Selbstwirksamkeit kann die Partizipation der Bürger*innen fördern und diese gleichzeitig (politisch) empowern.
Die Studie mit den Ergebnissen ist hier zu finden.